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Jüdisches Leben in Schleusingen

Die Familie Götz

Theobald Götz, geb. am 19. Mai 1880 in Schleusingen, betrieb in der Brauhausgasse 1 einen Viehhandel gemeinsam mit seiner Frau Sara Götz, geb. Zeilberger, geb. am 18. März 1890 in Ermershausen. Sie zog am 16. Juli 1913 von Ermershausen nach Schleusingen.

Theobald Götz ist ein direkter Nachfahre einer der ersten jüdischen Familien in Schleusingen.

Theobald Götz

Foto: Theobald Götz (Sammlung: Familie Götz)

Theobald Götz mit seiner Frau Sara und ihren jüngsten Kindern Siglinde und Herbert, um 1940

Foto: Theobald Götz mit seiner Frau Sara und ihren jüngsten Kindern Siglinde und Herbert, um 1940 (Sammlung: Familie Götz)


Theobald Götz hatte den größten Viehhandel und einige Grundstücke sowie ein Wohnhaus mit Nebengelassen in Schleusingen. 1938 entzogen die Behörden ihm die Viehhandelserlaubnis und „zwangsarisierten“ seinen Betrieb. Nachdem er am 9. November 1938 wie alle jüdischen Männer Schleusingens verhaftet wurde und im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert war, kam er am 10. Dezember 1938 nach Schleusingen zu seiner Frau und seinen zwei jüngsten Kindern Herbert und Siglinde zurück. Die drei älteren Kinder hatte die Familie bereits ins Ausland geschickt, der Sohn Gustav war noch im KZ Dachau. Der nichtjüdische Freund von Theobald Götz, der Bürgermeister von Breitenbach, Oskar Müller, soll versucht haben, ihn davon zu überzeugen, das Land zu verlassen, nachdem dieser Andeutungen vom KZ Buchenwald gemacht hatte. Der Gemeindevorsteher der jüdischen Gemeinde Schleusingen, Theobald Götz, habe geantwortet, er sei hier geboren, er bleibe hier, und er werde hier auch sterben.

Am 28. Dezember musste er sein Hausgrundstück mit Garten weit unter Wert an die Großschlächter Heinrich und Johanna Lusky verkaufen. Die Versicherungssumme für das Haus und die Stallungen betrug 1934 insgesamt 117.500 RM. Als das Anwesen an den Viehhändler Heinrich Lusky verkauft werden musste, wurden im Kaufvertrag 22.000 RM als Kaufpreis angegeben. Am Ende ließen die Luskys die Familie Götz bis zu ihrem Abtransport am 9. Mai 1942 in einem Teil ihrer einstigen Wohnung für eine Miete von 60 Mark pro Monat wohnen, „die im Voraus zu zahlen ist“. Auf diesem Wege hat ein Großschlächter somit nicht nur einen potenziellen Konkurrenten ausgeschaltet, sondern ist auch in den Besitz eines lukrativen Haus- und Stallgrundstücks zu einem äußerst günstigen Preis gekommen.


Ebenfalls Nutznießer solcher Vorgänge war die Stadt Schleusingen, denn nicht nur die Beschäftigung von Zwangsarbeitern, sondern auch die „Arisierung“ brachte Vorteile mit sich. So stellte der Bürgermeister Syré noch vor der Rückkehr von Theobald Götz aus dem KZ Buchenwald am 5. Dezember 1938 in einer Stadtratssitzung fest:

„Bei der Liquidierung jüdischen Grundbesitzes bietet sich wahrscheinlich die Gelegenheit, aus dem Besitz des Juden Theobald Götz unbebaute Grundstücke zu günstigem Preise anzukaufen.“

Die Stadträte fassten dazu folgenden Beschluss:

„Es herrscht die Meinung, dass bei der eventuell sich bietenden Gelegenheit von der Stadt die Grundstücke anzukaufen sind, die preiswert und für die Stadt brauchbar sind. Dem Bürgermeister wird in diesem Rahmen Vollmacht erteilt.“

Syré erwiderte:

„Bei der sich bietenden Gelegenheit werde ich Grundstücke für die Stadt erwerben, wenn der Kauf dieser Grundstücke zweckmäßig ist und der Preis als besonders günstig angesprochen werden kann.“

So erwarb die Stadt am 6. Mai 1939 Grundstücke von Götz in einer Größe von insgesamt 106,34 ha für 5650 Mark und verpachtete sie an Einwohner von Schleusingen und Hinternah.

Es ist anzunehmen, dass sie sich heute noch in städtischer Hand befinden, denn die Überlebenden der Familie Götz haben trotz gerichtlicher Klagen weder Entschädigungen noch eine Rückgabe erwirkt. Alle „Arisierungen“ von jüdischem Besitz sind immer mit Wissen und Zustimmung der Stadt genehmigt worden.

Die Anfrage von Theobald Götz, der sich am 23. März 1940 an den Regierungspräsidenten wandte, das zuständige Veterinäramt anzuweisen, ihm eine Bescheinigung über seine Tätigkeit als Landwirt und Züchter für seine bevorstehende Auswanderung auszustellen, hätte als formaler Akt von jedem Beamten ohne großen Aufwand erledigt werden können. Götz wäre unter Umständen in einem anderen Land ein problemloseres Einsteigen in seinen Beruf ermöglicht worden, aber sein Antrag wurde abgelehnt.

Am 25. Mai 1940 wurde über die verbliebene Familie Götz mitgeteilt:

„Die Auswanderung des Juden Theobald Israel Götz mit Familie nach Schanghai steht kurz vor dem Abschluß. Ein vor wenigen Tagen nach Schanghai aufgegebenes Telegramm mit Rückantwort, ob die Einreisegenehmigung erteilt ist, ist noch nicht beantwortet.“


Vermutlich bekam die Familie Götz keine positive Antwort. Außerdem musste Götz, wie alle Juden im Deutschen Reich, für jedes seiner bereits ausgewanderten Kinder eine Sonderabgabe zahlen, die sich allerdings auf einen Schätzwert des Vermögens (Immobilien, Grundstücke) und nicht auf den tatsächlichen Verkaufswert bezog. Die vier ältesten Kinder der Familie Götz waren zwischen 1937 und 1939 ausgewandert. Die am 19. Januar 1938 ausgestellten Reisepässe der Eltern Theobald und Sara und ihren beiden jüngsten Kindern Siglinde und Herbert hatten aber bereits am 18. Januar 1940, dem Zeitpunkt der behördlichen Mitteilung über eine Auswanderung, ihre Gültigkeit verloren. Noch zwei Monate vor ihrem Abtransport in den Distrikt Lublin kämpfte Theobald Götz für die Überschreibung des jüdischen Friedhofes auf die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ und beantragte beim Amtsgericht Schleusingen, die erforderliche Änderung im Grundbuch vorzunehmen. Der 1. Beigeordnete Bucher wandte sich daraufhin am 7. März 1942 in Vertretung des Bürgermeisters Syré an den Landrat des Kreises Schleusingen mit der Aufforderung, gegen dieses Vorhaben des Vorstehers der Synagogengemeinde, Theobald Götz, Widerspruch einzulegen, mit der Begründung, dass der Friedhof „Planungsbelange“ der Stadt berühre und führte die Zahl von 11 Juden an, „mit deren Auswanderung eines Tages gerechnet werden muß“. Unterstützend erwiderte der Landrat, dass die Stadt „besonders geltend zu machen [habe], dass nach der allgemeinen Stellung des Staates zu den Juden von vornherein irgendwelche [sic!] Rechtserwägungen [...] abwegig sein dürften“. Wege und Ziele der Judenpolitik, von der letztlich kein Jude verschont bleiben würde, waren im Landratsamt ebenso bekannt wie in der Stadtverwaltung.

Theobald und Sara Götz wurden gemeinsam mit ihren jüngsten Kindern Herbert, geb. am 8. September 1927 in Schleusingen, und Siglinde, geb. am 1. November 1932 in Schleusingen , am 9. Mai 1942 in das Sammellager Weimar gebracht, von wo sie am 10. Mai 1942 in das Ghetto Belzyce bei Lublin deportiert wurden. Dort kamen sie am 12. Mai 1942 an. Hier enden ihre Spuren.

Ihr Sohn Gustav Götz, geb. am 10.12.1919 in Schleusingen, wurde im November 1938 im KZ Buchenwald inhaftiert und danach in das KZ Dachau verbracht. Nach seiner Entlassung Anfang Mai 1939 wanderte er auf Antrag seines Vaters am 9. Mai 1939 in die USA aus.

Ihre Tochter Ilse Götz, geb. am 25. September 1914 in Schleusingen, verzog am 24. Mai 1938 nach Berlin. Von dort emigrierte sie nach London/England. Die Tochter Lilly Götz, geb. am 7. Oktober 1916 in Schleusingen, verzog am 11. August 1937 nach Berlin und emigrierte im Februar 1939 nach England. Von dort gelangte sie ein Jahr später in die USA. Der Sohn Menachene (Meinhardt) Götz, geb. am 9. Juni 1923 in Schleusingen, zog am 26. April 1937 nach Frankfurt a. M., kehrte am 30. August 1937 nach Schleusingen zurück, emigrierte am 6. März 1938 nach Palästina und von dort in die USA.

Ilse, Lilly, Gustav und Meinhard (Sammlung: Familie Götz)

Foto: Ilse, Lilly, Gustav und Meinhard (Sammlung: Familie Götz)

Die Bar Mitzwa von Gustav Götz (Sammlung: Familie Götz), um 1934

Foto: Die Bar Mitzwa von Gustav Götz (Sammlung: Familie Götz), um 1934

Fast alle Familienmitglieder und Freunde der Familie sind im Holocaust ermordet worden.


Auszüge aus Briefen

Auf der folgenden Seite können Auszüge aus Briefen von Marvin Götz und seiner Schwester Lilli Stern nachgelesen werden.

Briefe von Marvin und Lilli

Die Geschichte des Dorn’schen Hauses Nr. 142

Auf der folgenden Seite kann die Geschichte zum Dorn'schen Hauses nachgelesen werden.

Das Dorn'sche Haus Nr. 142