Oskar Schwab, geb. am 16. Februar 1890 in Themar, zog am 18. Oktober 1919 von Themar nach Schleusingen. Seine Frau Frieda Schwab, geb. Steindler, geb. am 1. Mai 1888 in Cham/ Oberpfalz, kam am 8. Dezember 1919 von Cham nach Schleusingen.
Ihr Sohn Egon Schwab, geb. 4.11.1922 in Schleusingen, starb am 25. Mai 1933. Egon war gehbehindert und saß im Rollstuhl. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Schleusingen beigesetzt.
Foto: Oskar Schwab
Foto: Frieda Schwab, geb. Steindler
Foto: Grabstein Egon Schwab (Sammlung Kerstin Möhring)
Sie führten gemeinsam mit der verschwägerten Familie Karl und Recha Müller ein Modegeschäft in der Bahnhofstr. 2.
Karl Müller, geb. am 1. Januar 1886 in Themar, kam am 11. Februar 1920 von Themar nach Schleusingen. Seine Frau Recha Müller, geb. Grünbaum, geb. am 4. August 1893 in Gemünden, zog am 27. November 1920 von Gemünden nach Schleusingen.
Foto: Karl Müller
Foto: Recha Müller, geb. Grünbaum
Foto: Blick in die Bahnhofstraße (im NS Adolf-Hitler-Straße) (Sammlung: Hans Schulz)
Foto: Modehaus Müller & Schwab, Hausnummer 2 – linke Straßenseite, letztes Haus
Das Modehaus in der Bahnhofstraße 2, in das die beiden jüdischen Geschäftsleute Karl Müller und Oskar Schwab eingemietet waren, war eines der ersten nachweislichen Ziele antisemitischer Aktionen nach dem 1. Weltkrieg. Im November 1920 setzte der „Agent der Schlesischen Feuer- und Glasversicherungsgesellschaft“ und Besitzer des Hauses, Wittich, eine Belohnung für die Überführung der Täter aus, die eine Scheibe eingeworfen hatten.
Foto: Anzeige im Henneberger Kreisblatt
1922 erschienen mehrere umfangreiche Artikel im Henneberger Kreisblatt, in denen jüdische Schleusinger versuchten, sich öffentlich gegen Anschuldigungen zu rechtfertigten. Wiederum war das Modehaus „Müller & Schwab“ Ziel von Angriffen und Verleumdungen. Das Geschäft wurde nach Aussagen verschiedener Zeitzeugen als „das weitaus bekannteste und beste Modegeschäft in der Umgegend“ bezeichnet. Hierin lag sicher ein wesentlicher Grund für die massiven Angriffe: die Ausschaltung von Konkurrenz. Die beiden Geschäftsleute ließen am 15. Mai 1922 im „Henneberger Kreisblatt“ einen großformatigen, zweifach umrahmten Artikel mit der Überschrift: „Zur Aufklärung“ drucken. Mit diesem setzten sie sich gegen eine Verwarnung der Schleusinger Behörden wegen der Öffnung ihres Geschäftes am Sonntag zur Wehr, mit dem berechtigten Hinweis auf andere, ebenfalls am Sonntag geöffnete Ladenlokale nichtjüdischer Geschäftsinhaber, die allerdings dafür keine Verwarnung erhalten hätten. Nicht zu Unrecht vermuteten sie, dass deren Inhaber sie angezeigt hatten und erstatteten Gegenanzeige.
Trotzdem gab es nach dem sogenannten „Judenboykott“ vom 1. April 1933, wie die Nationalsozialisten den Boykott jüdischer Geschäfte, Warenhäuser, Banken, Arztpraxen, Rechtsanwalts- und Notarkanzleien nannten, den das NS-Regime seit März 1933 plante und am Samstag, dem 1. April 1933, in ganz Deutschland durchführen ließ, noch kaufwillige Kunden auch bei „Müller & Schwab“, was von Zeitzeugen berichtet wird. Doch alle, die dieses Geschäft betreten wollten, wurden von der gegenüberliegenden Straßenseite (ehemals Kino) fotografiert. Und so verschwanden allmählich demonstrative Bekundungen für die jüdischen Geschäftsleute.
Foto: Artikel im Henneberger Kreisblatt
Eine Kampagne gegen eine Schleusinger Firma, die von einem nichtjüdischen Geschäftsmann geführt wurde, der mit dem Modehaus „Müller & Schwab“ zusammenarbeitete, zeigt, wie die Ausschaltung von jüdischer Konkurrenz auch indirekt erfolgen konnte: So erschienen in den „Erfurter Stadtnachrichten“ , in „Der deutsche Textil-Arbeiter“, dem „Kreisanzeiger Schleusingen, Stadt Suhl und Zella-Mehlis“ Artikel mit der Überschrift: „Die Strumpfkontrollen der Firma Lucius. Deutsche Arbeiterinnen sollen beim Juden kaufen“ und in der Ausgabe Nr. 3 des NS-Propagandablattes „Stürmer“ von 1934 auf dem Titelblatt mit der Überschrift: „Luciusstrümpfe. Worüber man in Schleusingen spricht“.
Dort abgedruckte Briefe unterschiedlicher Datierungen haben eins gemeinsam: Sie beschäftigen sich alle mit dem Thema Produktion, Vertrieb und Verkauf der besagten „Luciusstrümpfe“. Im ersten Brief wird erläutert, dass es in Schleusingen eine Strumpffabrik der Firma Johann Anton Lucius, Erfurt-Chemnitz, gibt, die mit den jüdischen Geschäftsleuten Müller und Schwab in Schleusingen einen Vertrag über den Alleinvertrieb abgeschlossen hat. Der „deutsche Geschäftsmann“ Hans Dunst, der Inhaber einer Schleusinger Firma in der Bahnhofstraße, wandte sich an die Firma Lucius, um diesen Alleinvertrieb zu übernehmen. In einem Schreiben der Firma Lucius vom 7. November 1933 heißt es, dass die Geschäftsleitung „mit Rücksicht auf die sehr angenehme langjährige Verbindung mit Fa. Müller & Schwab“ das Angebot ablehnt. Weiterhin formuliert Herr Lucius: „Die Herren Müller & Schwab kaufen seit langen Jahren ganz treu von mir; Ihr Geschäft befindet sich in derselben Straße, und ich mache alten Kunden nicht Konkurrenz.“
Der dritte Brief enthält die Antwort von Hans Dunst vom 10. November 1933 an die Firma „Joh. Anton Lucius“, in der er erklärt, dass die Arbeiterinnen durch Tragen der Lucius-Strümpfe ihren Arbeitgeber unterstützen sollen. Allerdings könnten diese Frauen nicht gezwungen werden, die Strümpfe „beim Juden zu kaufen“. Er schließt mit den Worten: „Ich behalte mir vor, Ihren Brief zur Stellungnahme an den Kampfbund, welchem ich als Mitglied angehöre, weiterzuleiten“. Im vierten und letzten Artikel nennt der Redakteur den Namen des Schleusinger Lucius-Vertriebsleiters, „ein gewisser Herr Bodenstein . Er ist Freimaurer und Stahlhelmer und ist bekannt dafür, daß er Nazis nur sehr zögernd in seinen Betrieb aufnimmt. Es muß erwartet werden, dass sich in Thüringen irgendwer findet, der dafür sorgt, dass den Lucius-Bodenstein-Methoden das Handwerk gelegt wird.“ Er prangert das Tragen der Strümpfe durch die Arbeiterinnen an und bezeichnet es als Einschränkung der persönlichen Freiheit. Am Ende mündet das Schreiben in einer Drohung. „Strumpfkontrollen mögen im Judendeutschland von Gestern etwas Selbstverständliches gewesen sein. Im neuen Deutschland sei den Lucius-Bodenstein-Leuten geraten, sich den veränderten Verhältnissen recht bald anzupassen.“
Foto: Artikel aus dem "Stürmer" Nr. 3 von 1934
Bemerkenswert ist, dass die Presse diese Angelegenheit nach Monaten wieder aufgreift, um Bewegung in das Anliegen von Hans Dunst zu bringen. Die materiellen Interessen am Alleinvertrieb der Strümpfe von Hans Dunst und sein damit verbundenes Vorgehen gegen jüdische Kaufleute seien beispielhaft. Auch wenn nicht bekannt ist, wie sich die Geschäftsleitung der Strumpffabrik im Weiteren verhalten hat, setzten die Nationalsozialisten ihre Vorgehensweise gegen „Müller & Schwab“ fort. Unter der Überschrift „Eine Beamtenfrau sabotiert den nationalsozialistischen Aufklärungsfeldzug“ findet sich folgender Text im „Henneberger Kreisblatt“:
„Um einige der Volksgenossen, die durch den Einkauf beim Juden ihr Volk verraten, endgültig zu überführen, hatten sich einige SA-Kameraden mit einem Fotoapparat bewaffnet und vor dem Judenladen Müller & Schwab Aufstellung genommen. Schon waren einige Volksgenossinnen auf die Platte gebracht, da schickten sich wieder einige an, den Laden zu betreten. In diesem Augenblick trat die Frau des städtischen Polizisten Klein hinzu und rief: ‚Geht nicht rein, geht nicht rein, dort steht die SA und fotografiert euch.’ Der SA-Obertruppenführer Pg. Beck sagte darauf zu der judenfreundlichen Beamtenfrau: ‚Frau Klein, Ihr Mann ist städtischer Beamter. Wie kommen Sie dazu, sich so offen gegen die SA zu stellen und für die Juden Partei zu ergreifen?’ Frau Klein tat darauf den klassischen Ausspruch: ‚Leck mich am A...’ Wir stellen dazu fest:
Der detailliert geschilderte Vorgang macht die Perversion der Anklage deutlich. Eine Frau kaufte in einem Geschäft ihrer Wahl ein und sollte am Ende von ihrem eigenen Mann angezeigt werden, der als Polizist tätig war. Wie selbstherrlich Schleusinger Funktionäre oder Amtsträger auftraten, beweist die Konfrontation von Beck und Klein. Hier wurde ein Machtkampf öffentlich ausgetragen: ein SA-Mitglied kontra städtische Polizei. Mit solchen Begebenheiten erreichten die Nationalsozialisten ihr Ziel. Die jüdischen Geschäfte wurden von der nichtjüdischen Bevölkerung zunehmend gemieden. Auch auf die Privatsphäre der Familie Klein wurde keine Rücksicht genommen und der Wohnort mit seinen „besonderen“ Bedingungen der Öffentlichkeit preisgegeben. Die Kleins wohnten in der Adolf-Hitler-Straße 2 (heute Bahnhofstraße) im dritten Stock gemeinsam mit den Familien Müller und Schwab.
In der Reichspogromnacht wurden Oskar Schwab (48 Jahre alt) und Karl Müller (52 Jahre alt) mit den anderen jüdischen Männern aus Schleusingen und den umliegenden Gemeinden verhaftet und ins KZ Buchenwald überführt.
Oskar Schwab war unter der Häftlings-Nr. 20643 im KZ Buchenwald registriert. Er wurde am 4. Januar 1939 entlassen, Karl Müller war unter der Häftlings-Nr. 20638 registriert, seine Entlassung war wenige Tage vorher am 16. Dezember 1938.
Die gesamte Kampagne, die Artikel im „Stürmer“ und im „Henneberger Kreisblatt“ und die Abschreckungsversuche durch das Fotografieren von Kunden, führte zum Erfolg. Die Einnahmen der beiden Geschäftsleute sanken und am 18. Januar 1939 findet sich im „Henneberger Kreisblatt“ der Eintrag:
„Im Handelsregister A Nr. 351 ist bei der Firma Müller & Schwab, Schleusingen, eingetragen worden: Die Firma ist erloschen.“
Nach einer Zeitzeugenaussage wurden den Familien Müller und Schwab, die Schleusingen verlassen wollten, ihre gepackten Kisten mit dem gesamten Besitz noch vor ihrer Auswanderung in Hamburg gestohlen. Oskar Schwab sorgte nicht nur für sich und seine Frau, sondern verhalf auch der vierköpfigen Familie Rosengarten aus Themar zur Ausreise.
Oskar und Frieda Schwab, Karl und Recha Müller verließen 1939 Schleusingen und fanden gemeinsam mit der Familie Rosengarten Zuflucht in Shanghai/China.
1947 verließen sie Shanghai, um mit dem Passagierschiff „General William H. Gordon“ nach San Francisco/Kalifornien überzusiedeln. Dort kamen sie am 16. Mai 1947 an.
Dass die Familien Müller und Schwab eigentlich nach Schleusingen zurückkehren wollten, zeigt folgendes Schreiben aus dem Kreisarchiv Hildburghausen:
„An das Kreisamt des Kreises Suhl – Umsiedleramt – in Suhl am 12.5.1947
Betr.: Repatriierung deutscher Flüchtlinge‚
In der Anlage ein Schreiben der Repatriierungs-Association in Shanghai. Die 2 dort befindlichen Personen sind der Textilkaufmann Oskar Schwab und Ehefrau Frieda, welche 1938 wegen ihrer jüdischen Abstammung Deutschland verlassen mußten.
Ich bitte, die zur Rückreise des Schwab und Frau notwendigen Schritte zu unternehmen und mir einen Rückbescheid zu geben.
Stellv. Bürgermeister”
Warum es dazu nicht gekommen ist, konnte nicht geklärt werden. Die Familien entscheiden sich 1947 für ihre neue Heimat San Francisco.
California Passenger and Crew Lists, 1893-1957